Würdigung
Die künstlerische Gestaltung der Kirche mit ihrem Ornamentreichtum war von Anfang an nicht unumstritten. Johannes Otzen betonte jedoch, sie sei notwendig, um schon „durch den Raum“, der betreten wird, das Gemüt zu erheben, damit die Eintretenden „die Misere des täglichen Lebens“ hinter sich lassen. Otzen hat in einer Zeit der Umbrüche und Stilwenden einen Weg gesucht, um den Gedanken der „Predigtkirche“ zu verwirklichen. Er blieb jedoch den Strömungen seiner Zeit verbunden, indem er versuchte, die Heilsgeschichte im Kirchenraum bildlich erfahrbar zu machen. Dies geschah durch die Verquickung einer Reihe traditioneller Mittel mit einer strukturellen Neuerung, freilich – wie dies besonders im Goldgrund der Bilder zum Ausdruck kommt – auf recht statuarische Weise.
So vergingen nur wenige Jahre, da erschien dieser Versuch problematisch, erst recht nach den Zusammenbrüchen des Ersten Weltkriegs und seiner Folgen. Die leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, verbunden mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, verstärkten noch die Widersprüche. So ist es nicht verwunderlich, dass es in der zweiten Hälfte des 20. Jh. Bestrebungen gab, die Kirche radikal umzugestalten. Dies wurde abgewendet, da sich die Einsicht durchsetzte, dass alle Elemente dieses Bauwerks, vor allem im Innenraum, unauflöslich miteinander verbunden sind.
Jedenfalls hat die Geschlossenheit des Innern der Bergkirche stets – gerade auch in den Zeiten der Gefahr und der Bedrohung – zusammenführend und zusammenhaltend gewirkt und es auch vermocht, Menschen zu sich selbst zu bringen, ehe sie sich wiederum anderen Menschen zugewandt haben. Gemeindepfarrer Franz v. Bernus sagte 1939 – offenbar geprägt von den Repressionen, denen er und die Gemeinde als Bekenntnis-Gemeinde seitens des NS-Staates seit Jahren ausgesetzt waren -, dass es „vor allem die Geschlossenheit dieses Raumes ist, der uns zusammenführen will und zusammenhält wie eine Familie.“
So hat sich der von Johannes Otzen geschaffene Sakralraum in den Stürmen der Geschichte nicht nur als Ort der Predigt und des Abendmahls, sondern – im urchristlichen Sinn – auch Schutz bietend und Gemeinschaft stiftend bewährt.
All diese Elemente christlichen Lebens haben ihre Eigenständigkeit und ihre gegenseitige Entsprechung. So wurde es auch von der Gemeinde oftmals neu erfahren, stets begleitet von einer intensiven Pflege der Kirchenmusik, die in Gottesdiensten und Konzerten immer eine herausragende Rolle gespielt hat.
Johannes Otzen
08.10.39 | Geburt in Sieseby bei Schleswig |
1855 – 1857 | Lehre als Zimmermann |
1859/62 | Studium am Polytechnikum Hannover |
1862/66 | Bauführer im Atelier seines Lehrers C. W. Hase |
1866/69 | Preußischer Staatsdienst |
seit 1869 | Tätigkeit als Architekt in Berlin |
1878 | Dozentur an der TH Berlin |
1881 | Professur an der TH Berlin |
1880 | Mitglied der Akademie des Bauwesens |
1883 | Mitglied der Akademie der Künste |
1904/07 | Präsident der Akademie der Künste |
08.06.11 | Tod in Berlin |
Die beteiligten Künstler
Entwurf und Planung: Johannes Otzen
Wandgemälde, dekorative und figürliche Entwürfe der Glasfenster: Hermann
Schmidt, Hamburg
Plastiken an Altar, Kanzel und Orgelprospekt: Bildhauer Dag, Hannover
Glasmalerei: Schulze, Leipzig und Arnold, Wiesbaden Kunstschmiedearbeiten: E. Puls, Berlin
Literatur: Die Bergkirche in Wiesbaden, erbaut von Johannes Otzen. Zur Einweihung am Mittwoch dem 23. Mai A.D. 1879 – Emil Sulze: Die evangelische Gemeinde (Kap. 9: Kirchenbau), Gotha 1891 – VVilly VVeyres, Otto Bartning: Kirchen. Handbuch für den Kirchenbau, München 1959 – Rudolf Schwarz: Kirchenbau. VVelt vor der Schwelle, Heidelberg 1960 – Jörn Bahns: Johannes Otzen 1839-1911. Beiträge zur Baukunst des 19. Jahrhunderts, München 1971.
Fotos: Renate J. Deckers-Matzko, Heidelberg
1875 | Johannes Otzen gewinnt Architekturwettbewerb |
1879 | Kirchweih am 28. Mai |
1892 | Teilung der Ev. Stadtgemeinde mit zwei Predigtstätten, in Markt- und Bergkirchen-gemeinde, jedoch unter gemeinsamer Verwaltung, der späteren „Gesamtgemeinde Wiesbaden“ |
1905 | Erste Renovierung |
1917 | Die bronzenen Glocken (cis – e – a) werden für Kriegszwecke eingeschmolzen |
14.11.1920 | Weihe der drei Ersatzglocken aus Stahl (d – fis- a) |
1928 | Privater Kindergarten im Gemeindehaus wird kirchlich |
1930 | Beginn des Umbaus der Orgel |
1932 | Gutachten Albert Schweitzers zum Umbau der Orgel |
1933-45 | Ab Dezember 33: Die vier Pfarrer, von Bernus, Fries, Dr. Vömel und Anthes (letzterer strafversetzt), stellen sich offen gegen die NS-hörige Kirchenobrigkeit. Das Pfarrhaus in der Lehrstrasse 8 wird zu einem Zentrum der aktivitäten der Bekennenden Kirche. Der Kirchenvostand spaltet sich in einen bekennenden und einen regimekonformen Flügel. Martin Niemöller wird 1937 nach einem Besuch bei Pfarrer von Bernus verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht.Februar 1945: Dr. Hans Buttersack, ein engagiertes Mitglied des Kirchenvorstands, stirbt im KZ Dachau |
1945 | 24.6.:Die vorläufige Leitung der Nassauischen Landeskirche und Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen treffen sich erstmals nach Kriegsende im Pfarrhaus |
1959 | Zweite Renovierung der Kirche |