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Die Wiesbadener Bergkirche ist 1876-79 auf einer Anhöhe über den heißen Quellen des Kochbrunnens von Johannes Otzen, einem bekannten Vertreter des Historismus, in neugotischem Stil errichtet worden. Sie wurde am 28.5.1879 von Landesbischof D. Ludwig Wilhelm Wilhelmi geweiht.
Es war ein weiter Weg, bis mit dem Bau der zweiten evangelischen Kirche der Stadt begonnen werden konnte. Bereits am 14.12.1837 hob der damalige Dekan Wilhelmi in einem Antrag an die Herzoglich-Nassaufische Regierung die Notwendigkeit dieses Vorhabens mit dem Hinweis hervor, er habe schon „vor Jahren wiederholt“ darauf aufmerksam gemacht. Die aus dem Mittelalter stammende Mauritiuskirche konnte die Gottesdienstbesucher an großen Feiertagen längst nicht mehr fassen. So reifte der Gedanke heran, „für jenen Theil der Stadt, welcher von der dermaligen Kirche am weitesten entfernt ist„, eine eigene Kirche und Schule zu errichten, um dort einen eigenen Pfarrbezirk zu bilden. Als Bauplatz war bereits der spätere Standort der Kirche in einem von Handwerkern und Arbeitern bewohnten Viertel vorgesehen, die im Bau-Boom der aufstrebenden „Weltkurstadt“ als Arbeitskräfte dringend gebraucht wurden.
Die Regierung des Herzogtums Hessen-Nassau stimmte dem Bau einer zweiten evangelischen Kirche früh zu, doch fehlten die benötigten Geldmittel. Und durch den Brand der Mauritius-Kirche (1850) wurde erst einmal der schnelle Neubau einer Pfarrkirche für die heimatlos gewordene Gemeinde im Stadtzentrum erforderlich. So entstand 1852-62 auf dem vom Herzog geschenkten Gelände gegenüber dem Schloss die Marktkirche, womit sich die Planung der Bergkirche weiter verzögerte. Dabei blieb ihr Baufonds immerhin unangetastet.
Schließlich waren die politischen Spannungen nach dem Krieg gegen Österreich 1866 und der darauf folgenden Annexion des Herzogtums Nassau durch Preußen dem Vorhaben auch nicht förderlich gewesen.
Erst nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der anschließenden Reichsgründung konnte der Architektenwettbewerb 1875 stattfinden, aus dem Johannes Otzen (1839-1911) als Sieger hervorging, weil – wie es in der Begründung u. a. hieß – wegen der Lage des Bauplatzes „die Anlage eines Zentralbaues mit Vierungsthurm am Vortheilhaftesten und Wirkungsvollsten“ sei. Damit war ein Baumeister gewonnen worden, der in der Geschichte des protestantischen Kirchenbaus im ausgehenden 19. und im beginnenden 20. Jh. eine bedeutsame Rolle spielte.
Planung und Ausführung
Johannes Otzen stammte aus Schleswig-Holstein und lernte ursprünglich das Zimmermannhandwerk. Am Polytechnikum Hannover machte ihn einer seiner Lehrer mit der (neuen) Gotik und dem Backsteinbau vertraut. Dies ist vermutlich einer der Gründe seiner Vorliebe für dieses Material und die intensive Wiederverwendung mittelalterlicher Bauformen und Stilelemente.
Sorgfältig hat sich Johannes Otzen mit dem Standort und mit der Fernwirkung seines Kirchenbaus auseinandergesetzt. Es ist uns eine Fotografie mit einer Stadtansicht überliefert, in die er von der gegenüberliegenden Anhöhe aus die Umrisse der Bergkirche eingezeichnet hat.
Vermutlich haben in seinen Überlegungen auch zwei andere Gotteshäuser in der Nähe eine Rolle gespielt: die ornamentreiche Synagoge am Michelsberg (erbaut 1869, im Dritten Reich zerstört) und die Russische Kapelle auf dem Neroberg (1855) mit ihrer Bilderfülle. Die Bergkirche, der zweite Kirchenbau, den Otzen entwarf, ist mit ihrem Chorraum nach Osten gerichtet. Darin entspricht der Architekt alter christlicher Kirchenbautradition, ebenso mit der Beibehaltung des kreuzförmigen Grundrisses. Er folgt damit den Empfehlungen des „Eisenacker Regulativs`, einer kirchenamtlichen Richtlinie zum Kirchenbau von 1861. Andererseits ignorierte er die Thesen des Regulativs, indem er das Langhaus und das Querschiff jeweils verkürzte, die Seitenschiffe zu Gängen werden ließ und die Vierung zu einem großen unregelmäßigen Achteck erweiterte, das etwa 50 % der Grundfläche der gesamten Kirche einnimmt.
Damit schuf er einen zentralen Raum, in dem die Gemeinde den Gottesdienst ohne Störungen hörend und sehend verfolgen kann, wo die Trennung zwischen Altar, Kanzel und Kirchenvolk weitgehend aufgehoben ist.Bereits 1867, bei der Planung einer Kirche in Hamburg, sprach Otzen von der „Gewinnung einer practisch brauchbaren protestantischen Predigtkirche„. Bei der Teilnahme an einer Konkurrenz in Bochum 1875 verwendete er erneut – wie auch in Wiesbaden – den Ausdruck „Predigtkirche“. Der Verwirklichung dieses Ziels galt seine Mühe, und in dem Bau der Bergkirche hat er dem schon früh eindringlich Ausdruck verliehen.
So lässt sich an der Bergkirche deutlich ablesen, wie sehr Otzen sich der Überlieferung verpflichtet fühlte, zugleich aber auch zur Innovation und Weiterentwicklung fähig war. Man sprach zu seiner Zeit von einem „Bauen von innen nach außen“.
Der Kirchenbau außen
Das unregelmäßige Achteck im Innern wird im Außenbau in ein regelmäßiges Achteck überführt, auf dem der Turm ruht. Dabei handelt es sich um eine Stahlkonstruktion. Sie wird von vier Widerlagertürmen gestützt. Über die niedrige Glockenstube ragt der hohe achtseitige Turmhelm.Die Kreuzarme tragen Satteldächer, während der Chor über den drei Polygon-seiten ein Walmdach trägt.Die Fenster des Chores und die kleinen Fenster der Sockelwand an der Nord-und der Südseite, sowie die Fenster des Langhauses sind der frühen Gotik des 13. Jh. nachempfunden.
Für die Querhauswände wählte Otzen große Rosenfenster, unter welchen Blendarkaden verlaufen, die mit der Rose durch Spitzbögen zusammengefasst sind. Die Westfront wird von dem Hauptportal mit einem Wimperg sowie zwei großen, die Fassade beherrschenden Maßwerkfenstern bestimmt, unter denen eine Galerie von Blendarkaden verläuft. Zwischen den Fenstern über dem Portal steht eine zum Eintritt einladende Christusstatue.
Dem Langhaus im Westen ist in der Breite eines Joches ein Eingangstrakt angefügt, der über die Seitenschiffe hinausragt. In dessen südlichem Teil nimmt der polygonale, turmartige Abschluss die Treppe zur Orgelempore auf, während der nördliche Abschluss ursprünglich als Taufkapelle gedacht war, allerdings niemals als solche genutzt wurde.
Am Chor sind symmetrisch südlich wie nördlich kapellenartige Sakristeien angebaut.
Die Gestalt des einladenden Christus über dem Haupteingang führt hin zur Bilderwelt im Inneren der Kirche.